Rasenschach Blog Training Zwischen Konzept und Körper – Die stille Sprache des Trainerseins
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Zwischen Konzept und Körper – Die stille Sprache des Trainerseins

In Trainerforen, Podcasts und Seminaren kreist alles um Leverkusen. Xabi Alonso steht für das Neue, das Elegante, das scheinbar Leichte – und wird zur Blaupause für alle, die schnell nachziehen wollen – Er wird zum Posterboy des modernen Fussballs.

Gleich daneben blättern andere durch die Spielidee von Gasperini, bewundern die Mann-Gegen-Mann Verteidigung bei Atalanta oder sie zerlegen Inzaghis Inter – eine Mannschaft, die Automatismen spielt, als hätte sie sich selbst programmiert.

All das ist faszinierend. Aber es ist auch gefährlich. Denn wer nur das Was sieht – aber nicht das Wie, der baut ein Haus ohne Fundament.

Denn viele übernehmen Ideen, ohne den Weg zu ihrer Umsetzung wirklich zu verstehen. Sie sehen das Endprodukt – aber nicht den Prozess. Was bei Manchester City wie ein Uhrwerk aussieht, zumindest in den vergangenen Spielzeiten, wurde mit Millionen, endlosen Wiederholungen und akribischer Detailarbeit geschliffen. Wir dagegen trainieren zwei bis drei Mal die Woche, haben kein Analystenteam, keine GPS-Westen, keine Drohnen. Wir haben: eine Idee. Und 16-20 Jungs mit Schule, Job, und manchmal fragwürdigen WhatsApp-Gruppen.

Willkommen in der Realität.

„Du kannst keine Kopie spielen. Du musst dich für eine Idee entscheiden, ihr treu bleiben und sie dann verbessern.“

Marcelo Bielsa

Die Gefahr der Vogelperspektive

Zu viele Coaches starren auf taktische Systeme wie ein Schachspieler aufs Brett. Sie verschieben die Viererkette, optimieren Restverteidigung, bauen Pressingfallen. All das ist wichtig – aber es ist nicht der Anfang. Es ist das Ergebnis. Taktik ist nicht das Ziel. Taktik ist der sichtbare Ausdruck einer Idee. Und diese Idee wird nicht durch ein Whiteboard geboren, sondern durch Spieler, die sie tragen – und verstehen.

„Die Spieler sind die Übersetzer deiner Gedanken.“

Wer das vergisst, reduziert Spieler auf Figuren. Aber sie sind keine Figuren. Sie sind fühlende, denkende, zweifelnde, manchmal übermotivierte, manchmal verunsicherte Menschen. Und jede Idee, die nicht zu ihren Rhythmen passt, wird auf dem Platz wie ein Fremdkörper wirken.

„Wissen über“ und „Tiefes Verständnis vom“ Fussball

Coaches lernen früh das sogenannte „Wissen über Fussball“: Spielsysteme, Pressingprinzipien, Passwinkel, Trigger. Bücher, Videos, Podcasts – das Arsenal ist prall gefüllt.

Doch die eigentliche Kunst liegt im „tiefen Verständnis vom Fussball“ – also im Wissen, wie diese Ideen im Trainingsalltag entstehen, wachsen, scheitern, sich anpassen und sich setzen.

Und hier beginnt die Lücke. Die meisten Trainer sind in einer Art Limitation gegenüber den Profis gefangen:

  • Weniger Trainingszeit
  • Weniger Ressourcen
  • Technisch und kognitiv limitierte Spieler
  • Kaum Videoanalyse oder taktische Feedbackschleifen

Wer glaubt, man könne unter diesen Bedingungen einfach die Ideen von Profiteams übertragen, irrt. Was wir brauchen, ist Effizienz durch Klarheit. Und Klarheit entsteht nur, wenn man weiss, wie aus einer Idee eine kollektive Bewegung wird. Wie entwickle ich also ein Kollektiv – basierend auf meiner Idee – unter realen Bedingungen?

Praxis vor Theorie – aber nicht ohne Theorie

Ein Trainer, der nur pädagogisch agiert, wird von seinen Spielern verstanden – doch oft fehlt die Tiefe, um sie wirklich weiterzuentwickeln. Einer, der nur Fachliches predigt, erreicht niemanden. Doch wer beides verbindet, hat die Chance, mehr zu sein als ein Übungsleiter:
Ein Architekt von Verständnis, ein Gestalter von Verbindung, ein Impulsgeber für Entwicklung.

„Coaching bedeutet nicht, was du sagst – sondern was du bei ihnen auslöst.“

Dein Training muss zum Sprachrohr deiner Idee werden. In jeder Spielform steckt ein Wert. In jeder Wiederholung ein Prinzip. Und in jeder Korrektur der Hinweis darauf, wie sich das Individuum in den Dienst des Ganzen stellt – ohne sich selbst zu verlieren.

Taktik als Ergebnis – nicht als Startpunkt

Guardiola, Klopp, De Zerbi – sie alle stehen nicht für Systeme, sondern für einen bestimmten Stil. Ihre Teams sehen gleich aus, weil sie von innen heraus so denken.

Was aussen wie Ordnung aussieht, ist innen ein kollektives Gefühl. Kein Zufall, keine Pflicht. Eine gelebte Idee. Deshalb ist es gefährlich, sich nur am äusseren Bild zu orientieren. Was wir brauchen, ist ein Verständnis für den inneren Klang.

Ein Team ist nicht nur eine Gruppe von Spielern. Es ist eine Gruppe von Beziehungen

Johan Cruyff

Vom Prinzip zur Praxis: Wie aus Gedanken Training wird

Die schönste Idee bleibt Theorie, wenn sie auf dem Platz keine Form annimmt. Die grosse Frage lautet also:
Wie designe ich Trainings, die meine Idee sichtbar, spürbar und erlernbar machen – unter realen Bedingungen?

Hier ein Zugang, der sich bewährt hat – kein Rezept, sondern ein Rahmen, der dem Denken Struktur gibt:

1. Übung ≠ Drill – sondern ein Wettkampf um Verhalten

Der Fehler vieler Trainings liegt im Selbstzweck. Man trainiert Pässe, weil man „passen üben muss“.
In diesem Ansatz ist jede Übung ein Wettkampf, bei dem es nicht primär um Tore geht – sondern um das gezielte Provokationsdesign von Verhaltensmustern.

Beispiel:
Statt simples Ballhalten zu spielen, designst du ein Spiel, bei dem Punkte vergeben werden für:

So entsteht ein Spiel im Spiel. Der Lerneffekt steigt, der Spassfaktor bleibt. Und die Spieler handeln, weil sie verstanden haben, worum es geht.

2. Intrinsische Führung – viele Leader statt einer Stimme

Wer trägt deine Idee auf dem Platz weiter? Wenn nur du redest, hast du nur einen Lautsprecher.

Besser: Spieler zu Coaches machen.
Leader im Spiel, nicht nur in der Kabine. Spieler, die die Prinzipien kennen, erkennen – und verkörpern. Ihre Stimme hat Gewicht, weil sie mitten im Spiel steht. Das ist Authentizität. Das ist Wirkung.

„Verstehen erzeugt Verantwortung. Und Verantwortung erzeugt Verbindung.“

3. Verhalten ist trainierbar – aber nur durch Wiederholung

„Verhalten-Drill“ heisst: Muster schleifen. Nicht bis zur Monotonie, sondern bis zur Klarheit.

Drille nicht Technik. Drille Entscheidung. Drille das Verhalten, das du sehen willst – bis es keine Ausnahme mehr ist, sondern Normalität.

4. Denken hörbar machen – Echtzeit-Coaching per Headset

Eine mutige Methode: Spieler mit Headset ausrüsten. In Spielsituationen live coachen. Nicht übersteuern – sondern verstehen helfen.

Der Effekt: Der Spieler spürt, was du denkst – und beginnt, so zu denken. Aus der Denkpartnerschaft wird Handlungssicherheit. Und Handlungssicherheit ist der Nährboden für Spielfluss. Hier arbeite ich zum Beispiel mit dem Tool «CeeCoach» https://ceecoach.ch/


Anbei 3 Trainingsideen, welche die oben beschriebenen Konzepte veranschaulichen:

Trainingsidee 1 : Ballbesitz-Triangolo – Bespielen von verschiedenen Räumen

Ziel: Spieler müssen lernen sich schnellstmöglich an verschiedene Zonengrössen anzupassen
Format: 7v7 + 3 neutrale Spieler (2 Torhüter und 1 Feldspieler)
Regeln:

  • Das Spiel beginnt auf Platz A und beide Teams spielen auf Ballhalten mit 3 Neutrale im Feld.
  • Nach Pfiff des Trainer vergrössert sich das Feld, also spielen alle auf Platz B auf Ballhalten.
  • Nach einem weiteren und letzten Pfiff wechselt nicht nur das Feld auf Platz C, sondern auch die Spielrichtung. Normales Spiel mit Offside und die Torhüter gehen in ihre zugeteilten Tore. Danach bleibt ein 7v7 + 1 neutraler Spieler. Spielrichtung wird zu Beginn definiert.

Was wird bewirkt:

  • Spieler lernen das multidimensionale Raumverhalten. Der Wettkampf zwingt Spieler ebenfalls sich stets anzupassen, da der Gegner manchmal mehr Raum zulässt und manchmal weniger. Die Wechselwirkung der zur Verfügung stehenden Räume bedingt neue Entscheidungsmuster der Spieler.
  • Kommunikation entsteht organisch – Spieler sind gezwungen die Mitspieler zu unterstützen, damit die Positionierung in Ballbesitz wieder in die «fluiditive» (Fluidität) Phase kommt.

Trainingsidee 2: Zonenspiel mit vorgegebener Spielausrichtung

Ziel: Ballsicherheit in verschiedenen Zonen
Format: Je nach Spieleranzahl (Gleichzahl oder mit einem Neutralen + 2 Torhütern) – Feld in drei Zonen unterteilt
Regeln:

  • Die Teams spielen jeweils in eine Spielrichtung
  • Ballverluste in der Aufbauzone ergeben 4 Strafpunkte
  • Ballverluste in der Mittelzonen ergeben 2 Strafpunkte
  • Jedes erzielte Tor bewirkt 4 Strafpunkte beim Gegner

Was wird bewirkt:

  • Ballsicherheit in den verschiedenen Zonen, speziell in der Aufbauzone
  • Gutes Pressing wird belohnt, weniger guter Ballbesitz wird bestraft
  • Ballverluste sollten «schmerzhaft» sein, deshalb ist jeder gefragt, dass dem Ballführeden geholfen wird
  • Wenn der Ballbesitz gut praktiziert wird, kann man den Gegner ebenfalls bestrafen, in dem man ein Tor erzielt (Grosstor oder Minitor) – Belohnung für das Tor und Angriffsspiel

Trainingsidee 3: Ballbesitz triff Gegenpressing – Ein Ballverlust kann auch eine Chance sein

Ziel: Bespielen von verschiedenen Zonen und die schnelle Reaktionszeit nach Ballverlust, um ins Gegenpressing (Ballrückeroberung) zu kommen
Format: Je nach Spieleranzahl (Gleichzahl oder mit einem Neutralen) – Feld in 4 Teile unterteilt inklusive 4 Mini-Tore in den Ecken
Regeln:

  • Beide Mannschaften spielen in zwei Phasen, heisst, Team A spielt in Phase 1 für 3 Minuten nur auf Ballbesitz und probiert durch einen Pass die Felder zu wechseln – hierfür gibt es einen Punkt.
  • Team B probiert eine Balleroberung zu erzwingen, um danach auf die Mini-Tore zu kontern. Das Zeitfenster um ein Tor nach der Balleroberung zu erzielen, liegt bei 10 Sekunden. Sollte Team B ein Tor erzielen, erhalten sie 5 Punkte. Wenn sie innert den 10 Sekunden aber kein Tor erzielen können, erhält Team A wieder den Ball.
  • Nach 3 Minuten wechseln die Rollen, also die Einleitung der Phase 2.
  • Bonuspunkte für das Ballbesitz-Team: Wenn das Ballbesitzteam, in diesem Fall Team A, den Ball verliert, diesen aber in der Zone des Ballverlustes wieder erobert (Gegenpressing), erhält das Team 5 Punkte.

Was wird bewirkt:

  • Eine gut organisierte Ballbesitzsequenz ist nur so gut wie das anschliessende Verhalten nach Ballverlust, also der Gegenpressing-Moment
  • Nach Balleroberung schnell umschalten, sowohl für die Kontermannschaft als auch für die Ballbesitzmannschaft (Gegenpressing)

Abschliessende Gedanken: Der Trainer als Komponist

Trainingsgestaltung ist mehr als Organisation. Es geht nicht nur darum, Inhalte zu planen, sondern darum, eine Idee auf den Platz zu bringen. Eine Idee, die nicht du alleine ausführst – sondern deine Spieler. Du bist nicht nur der, der anleitet. Du bist der, der entwirft. Ein Komponist, der Struktur gibt – damit andere darin etwas Eigenes finden.

Ich habe lieber Spieler, die verstehen, warum sie etwas tun – als Spieler, die nur tun, was man ihnen sagt

Johan Cruyff

Ein guter Trainer kennt seine Spieler: Ihre Stärken, ihre Zweifel, ihr Verhalten unter Druck. Und er weiss, wie er sie führt – nicht über Lautstärke, sondern über Klarheit.
Wenn Trainings so aufgebaut sind, dass sie automatisch die Idee fördern, entsteht mit der Zeit ein gemeinsames Verständnis – ein Spiel, das nicht mehr nur reagiert, sondern bewusst handelt.

Wenn Spieler den Sinn hinter dem Training erkennen – und ihre Rolle darin verstehen –, dann entsteht mehr als Zusammenspiel. Dann entsteht Zusammenhalt. Ein Team, das nicht nur taktisch funktioniert, sondern sich mit der Idee identifiziert.

„Der Fussball, den du trainierst, ist der Fussball, an den du glaubst.“

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