Eine Trainertätigkeit auszuüben kann mehrere Gründe haben, sei es die Karriere nach der Karriere, Nebenverdienstmöglichkeiten oder die einfache Freude lernwilligen Spielern zu verhelfen sich nachhaltig zu entwickeln. Eines haben dabei wohl alle gemeinsam, die Vorfreude auf den Spieltag selbst. Wir trainieren dafür mehrere Einheiten in der Woche, um bestmöglich für das Spiel vorbereitet zu sein. Somit erklärt es sich von selbst, dass im Training die Basis für das Spiel gelegt wird oder wie Pep Guardiola zu sagen pflegt:
You play at the rhythm you train at. If you train badly, you play badly. If you work like a beast in the training, you play the same way
Pep Guardiola
Man beobachtet jedoch oft das Phänomen, dass Trainer am Spieltag in Aktionismus verfallen, in dem sie versuchen, die Spieler mit spontanen taktischen Ideen auf das Spiel einzustimmen. Grundsätzlich können solche Inputs per se nicht schädlich sein, aber wenn der Gesamtkontext dazu fehlt, sprechen wir einfach über Elemente, Einzelteile des Spiels, was somit die Komplexität der Team-Dynamik (Struktur aus mehreren Elementen) komplett vernachlässigt.
The whole is more than the sum of its parts
Aristoteles (griech. Philosoph)
Kurz vor dem Spiel neigen wir zu überflüssigen Interventionen, ja wir geraten schon fast in einem apokalyptischen Trance Zustand und unsere Rolle darin ist der heroische Akt des Retters, denn wir müssen die Spieler vor «dem Untergang» retten, nichts soll dem Zufall überlassen werden. Im Spiel selbst ist die Versuchung gross, die Spieler wie in der EA-Sports Reihe FIFA im Playstation-Format zu steuern und zu leiten, wobei das Coaching oftmals ziemlich oberflächlich erscheint. Wir schlüpfen in eine Art Heldenrolle, der Super-Trainer, mit der Fähigkeit möglichst viel zu sagen, ohne dabei etwas zu sagen. Wenn nur Pässe, Fehlpässe, Zweikämpfe, Torabschlüsse und Tore lautstark kommentiert werden, dann können wir ganz bestimmt von fahrlässiger Inhaltslosigkeit sprechen. Aber taktische Anhaltspunkte, basierend auf unserer Spielidee, welche dem Team viel eher zugutekommen würden, bleiben eine Rarität.
You cannot create a contradiction between your Training and your idea of the game
Jose Mourinho
Es geht hierbei nicht nur um taktische Automatismen, als vielmehr darum, dass die Spieler sich im Training im sozio-affektiven Aspekt (blindes Vertrauen basierend auf viele gemeinsame Trainingsstunden) verbessern und ein besseres Gefühl für die Zusammenarbeit entwickeln. Da ist eine einheitliche Spielidee die Essenz des fussballerischen Seins. Die Spielidee muss kein monumentales Werk sein, sondern ein Leitfaden für alle Beteiligten im Team, denn ohne Leitfaden verlieren wir uns in einem Input-Fiasko. Paco Seirul’lo (ehem. Methodik-Direktor FC Barcelona) sagte einst folgendes über Pep Guardiola: «Guardiola hat von seinen Spielern viel verlangt. Er ist vor allem ein Trainer, der durch gut strukturiertes Training Erfolg hatte. Das Training musste nicht zeitorientiert sein, sondern eher qualitätsorientiert. Qualität war das, was er forderte. Das Training war relevant für die Aktionen während der Spiele, mit Ausnahme von anspruchsvolleren Situationen, die das Vertrauen und die Entwicklung fördern.» Klar ist, dass es unzählige Anhaltspunkte im Fussball gibt, welche man nicht auswendig können oder gar in einem Spiel anwenden muss. Man kann jedoch die Wahrnehmung der Spieler schmälern, dass sie einen erfolgreichen Holobiont (Organismus aus komplexen Netzwerken) bestehend aus einheitlichen Ideen entwickeln. Trotzdem aber die individuelle Kreativität der Spieler erhalten bleibt, aber im chaotischen Spiel für temporäre Organisation sorgt. Man minimiert die möglichen Ausgänge, also die Entscheidungs-Optionen. Einfach ausgedrückt bedeutet das, «für welchen Spielstil soll meine Mannschaft stehen?» Der Spielstil ist am Ende die künstlerische Expression des Trainers die aus Werten, Überzeugungen und Visionen besteht und wenn diese fehlen, wird die Interaktion mit dem Team künstlich und unvollständig sein. Es ist kein klarer Bezug vorhanden, sondern einfach ein Abspulen von unzähligen Szenarien, die nicht monokausal zum Spielstil sind.
Das Training ist die alles entscheidende Variable für die Leistungsmaximierung einer Mannschaft, was ziemlich klar erscheint, aber die Handlungen sich mit diesem Leitsatz nicht bei jedem decken. Unsere Bühne ist nicht das Stadion, es ist der Trainingsplatz, dort müssen wir brillieren, dort müssen wir wie ein Dirigent das Orchester in einen harmonischen Einklang bringen, es stellt die absolute Basis für unser Sein als Trainer dar. Die Übung ist der Kommunikations-Kanal und der Zugang zu den Spielern, es ist unser Gedankengut, welches wir in physischer Form präsentieren, wie es Worte in einem Dialog tun. Eine Übung spricht mit Regeln und kann durch Worte und visuelle Demonstrationen des Trainers verständlicher gemacht werden. Der Apple-Gründer Steve Jobs meinte mal: «To me, marketing is about values». Wir müssen über die Exzellenz dieses Mannes nicht vertiefter eingehen, denn sein Vermächtnis ist gigantisch. Er war ein ausgezeichneter Geschäftsmann, aber ich denke ein noch brillanter Visionär. Er lebte von Werten und nicht von Zahlen, er konnte Mitarbeiter und Kunden durch seine Besessenheit für «das perfekte Produkt» für sich gewinnen, sein Produkt musste für etwas stehen und nicht einfach dem Zweck dienen. Das war wohl sein ausgeklügelter Marketing-Schachzug. Ein Trainer ist in einer ähnlichen Rolle, er ist wie ein Verkäufer mit einem Produkt und das Produkt ist seine Art wie er zu spielen gedenkt. Wenn er das nicht weiss, verkauft er nichts weiter als wertlose Prinzipien, die zwar gut sein mögen, aber keine in Erinnerung bleibende Beule hinterlassen werden. Sobald das Nächstbessere kommt, ist er schon wieder in Vergessenheit geraten.
Being the richest man in the cemetery doesn’t matter to me. Going to bed at night saying we’ve done something wonderful, that’s what matters to me
Steve Jobs, Apple Inc Gründer
Man könnte das Gefühl entwickeln, dass die Aufgabe des Trainers nur darin liege, fachlich eine Idee zu haben und diese somit die alleingültige Formel für den Erfolg ist, aber dem würde ich sofort widersprechen. Jede fachliche Handlung ist der humanen Handlung unterstellt. Wer nicht über ausreichende Führungsqualitäten verfügt, dem wird sein fachliches Standing wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Ein sehr gutes Beispiel wie Menschen geführt werden und man sportlich dabei sehr erfolgreich sein kann, ist Carlo Ancelotti oder auch Jürgen Klopp.
I love to be something like a friend of the player, but not their best Friend
Jürgen Klopp
Dieser Beitrag erklärt nicht, wie man ein Training planen soll oder was die besten Übungen dafür sind, es geht mehr darum, den Fokus auf etwas zu richten, was ein Trainer beeinflussen kann. Im Spiel haben wir natürlich die Möglichkeit zu reagieren und müssen dies sogar auch tun, sei es durch positionelle Veränderungen, Pressing- oder Ballbesitzausrichtung, individuelle Instruktionen und auch einfach Dinge wie das Motivieren/Loben von Ereignissen. Aber das Fundament bleibt der eigene Spielstil, weil in diesem Kontext trainiert wurde und wird. Die Spieler sind am Ende keine Roboter die x-beliebig auf alle möglichen Ereignisse im Fussball reagieren können sollen. Man kann aber von ihnen verlangen, dass sie sich der Spielidee unterordnen und in diesem Rahmen Entscheidungen treffen. Nichts ist stärker als die Synergie des einheitlichen Gedankenguts, ohne die Individualität ganz zu vernachlässigen. Wenn man einmal gewinnen will, konzentriert man sich auf das Ergebnis. Wenn man aber oft gewinnen will, sollten wir uns auf den Prozess konzentrieren. Dieser bedingt viel Geduld und die Einsicht, Rückschläge als einen Teil des Erfolgs zu betrachten, mit der Bedingung dies korrekt einordnen und analysieren zu können. Wobei bei Siegen dasselbe gemacht werden sollte.
Patience is bitter, but its fruit is sweet
Aristoteles (griech. Philosoph)
Und was heisst Prozess? Meiner Meinung nach ist der Prozess stets eine Form der Entwicklung, was dem Zweck dient und der Zweck korreliert zur Spielidee. Somit ist ein Prozess die stetige Entwicklung der Spielidee, auf Spieler- als auch Kollektivebene. Man möge meinen, dass die Spieler hiermit zu fest eingeschränkt werden und die Kreativität flöten geht. Aber das Gegenteil ist der Fall, denn hiermit wollen wir im Training die Rahmenbedingungen schaffen, dass in diesem System die Entfaltung fluider gelingt, weil der Entscheidungs-Radius kleiner ist. Folgendes Experiment soll das Gesagte besser verständlich machen:
«Das Marmeladen-Experiment ist auch als Marmeladen-Paradoxon bekannt geworden. Es geht auf ein Experiment zurück, dass US-Forscher um die Jahrtausenwende in einem kleinen Delikatessenladen in Kalifornien gemacht haben. Sie hatten dort Probiertische für die Kunden aufgebaut, mit Toastbroten und verschiedenen Marmeladensorten zum Testen.
Sechs verschiedene Sorten standen zur Auswahl. 40 Prozent der Vorbeigehenden nahmen das Angebot dankend an und probierten. Und zwölf Prozent von ihnen nahmen letztlich sogar ein Marmeladenglas mit zur Kasse.
Im zweiten Durchgang stellten die Forscher sogar 24 Marmeladensorten auf den Probiertisch. Eine riesige Auswahl. Mit der Folge, dass nun sogar 60 Prozent der Vorbeigehenden zur Konfitüre griffen – deutlich mehr als zuvor. Aber: Weniger als zwei Prozent kauften sich auch ein Glas.
Offenbar hatte die Vielfalt ihre Neugier geweckt, aber sie zugleich entscheidungsunfähig gemacht.»
Das Fundament eines Hauses wird früh gelegt, was auch bis zum Abriss praktisch immer erhalten bleibt. Wie man aber die Wohnung möbliert, die Wände streicht und den Garten gestaltet ist eine Sache der dort lebenden Besitzer. Sie müssen sich einfach nach den gegebenen Grössen und Raumeinteilungen orientieren. So ist es auch beim Spieler, das kollektive Fundament ist zwar vorgegeben, die Individualität bleibt. Der Erfolg ist somit kein einmaliger Event, sondern eine Folge des Prozesses. Für diesen Prozess müssen wir als Trainer das Training als unsere Plattform, als unsere Bühne betrachten, hier zeigen wir unser wahres Können, hier bereiten wir die Mannschaft auf den Wettkampf vor, hier nehmen wir gezielt Einfluss auf den nachhaltigen Prozess. Es versteht sich von selbst, dass Menschen nach Sinnhaftigkeit streben und hier kann der Trainer die Arbeitsmoral der Spieler um ein vielfaches erhöhen, wenn er ihnen Werte, Ideen und Visionen präsentiert. Jede Lebenshandlung hat für uns irgendeinen Sinn, bewusst oder unbewusst, ansonsten würden wir trostlos herumschwirren und nichts hätte eine Bedeutung. Wir müssen den Fussball nicht studieren sondern leben und Leben heisst, dass Streben nach Sinnhaftigkeit.

«Wenn wir gewinnen, aber nicht nach unseren Werten und Spielkultur gespielt haben, dann haben wir nur einmal gewonnen und aber auch einmal verloren. Ich will immer zweimal gewinnen, einmal nach Punkten und einmal mit der Art wie es unserer Spielphilosophie gerecht ist.» – Pep Guardiola